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BVerfG – Beschluss vom 11. März 2020 – Lebensmittelstrafrecht – EU-Hygienerecht: Die Verweisungsnorm des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, der die Strafrechtsetzungskompetenz an das BMELV delegiert, ist verfassungsgemäß.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die strafrechtliche Verweisungstechnik des LFGB, mit der für Lebensmittelunternehmer verbindliche EU-Verordnungen vom Bundesministerium um nicht vom Parlament in das deutsche Strafrecht integriert werden, zulässig ist.

Vorlage an das Bundesverfassungsgericht

Das Landgericht Stade hatte nach Art. 100 GG vorgelegt, nachdem es zwar von der Schuld eines Fleischunternehmers überzeugt war, der entgegen EU-Verordung 853/2004 (Hygienerecht für Lebensmittel tierischen Ursprungs) Schweinefleisch hergestellt und vertrieben hatte, dass Knorpelpartikel vom Kehlkopf und der Luftröhre enthielt. Allerdings hielt das LG die Verweisungstechnik der LFGB-Vorschriften, insbesondere die Verweisung auf die Lebensmittelrechtliche Straf- und Bußgeldverordnung (LMRStV), u. a. aus Gründen des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Verweisung auf den Verordnungsgeber für verfassungswidrig.

Entscheidung des BVerfG

Dies sah das BVerfG anders: Gesetzgeber müsse auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden. Müsste er jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten. Daher schließe das Bestimmtheitsgebot die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht aus. Der Gesetzgeber müsse den Tatbestand nicht stets vollständig im förmlichen Gesetz umschreiben, sondern darf auf andere Vorschriften verweisen.

Auch Blankettvorschriften rechtmäßig

Auch die bei § 58 LFGB zur Anwendung gekommene Verwendung einer Blankettstrafnorm sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da das Blankettstrafgesetz hinreichend klar erkennen lässt, worauf sich die Verweisung bezieht. Die Blankettstrafvorschrift des § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB und die sie ausfüllenden formell-gesetzlichen Vorschriften der § 58 Abs. 1 Nr. 18 und § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB bestimmten in ihrer Gesamtschau folgendes: Eine Zuwiderhandlung gegen eine unmittelbar geltende Vorschrift des Unionsrechts, die zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes bei Lebensmitteln durch Vorbeugung gegen eine oder Abwehr einer Gefahr für die menschliche Gesundheit die Verwendung bestimmter Stoffe, Gegenstände oder Verfahren beim Herstellen oder Behandeln von Lebensmitteln verbietet oder beschränkt oder die Anwendung bestimmter Verfahren vorschreibt oder für bestimmte Lebensmittel Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen stellt (hier das Fleischhygienerecht in Form der VO 853/2004), steht unter Strafe, soweit eine Rechtsverordnung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB für einen bestimmten Straftatbestand einen entsprechenden Rückverweis enthält. Damit seien die Voraussetzungen der Strafbarkeit hinreichend deutlich beschrieben. Der gesetzliche Regelungsgehalt erschließe sich den – im Bereich der Lebensmittelproduktion und des Lebensmittelhandels tätigen und daher typischerweise sachkundigen – Normadressaten durch das Zusammenlesen der Einzelnormen aus der Kette der § 58 Abs. 3 Nr. 2, § 58 Abs. 1 Nr. 18 und § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB. Der Aufwand bei der Normlektüre und der gedanklichen Umsetzung der Verweisungen sei damit zwar deutlich erhöht, führe aber noch nicht dazu, dass der gesetzliche Regelungsgehalt nicht mehr erkennbar sei.

Ausführlich vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.03.2020 – 2 BvL 5/17 –