Archiv für den Monat: Juli 2013

BGH: Biomineralwasser: Weiterhin unzureichende Transparenz bei der Bio-Kennzeichnung

Nach einer Entscheidung des BGH ist es grundsätzlich zulässig mit dem Begriff „Biomineralwasser“ zu werben, ohne dass nähere Angaben zu den Beurteilungskriterien, die die Bezeichnung „Bio“ rechtfertigen sollen, erforderlich sind (BGH Urt. v. 13.09.2012, I ZR 230/11). Ein Mineralwasserhersteller hatte sein Produkt als Biomineralwasser gekennzeichnet. Da Mineralwasser nicht in den Anwendungsbereich der Öko-Verordnung (EG) 834/2007 fällt, durfte der Hersteller zwar kein Siegel verwenden, das dem bekannten Bio-Siegel nach der Öko-Kennzeichnungsverordnung ähnelte. Der BGH verneinte jedoch eine Irreführung durch die Bezeichnung „Biomineralwasser“, obwohl die Kriterien zur Rechtfertigung des Begriffs „Bio“ (Wasserqualität, Reinheit, Schadstoffgehalt etc.) mangels Geltung der Öko-Verordnung einerseits und mangels Angaben durch den Hersteller andererseits völlig im Dunkeln blieben.

Anmerkung:

Die Entscheidung überzeugt nur teilweise. Zwar stellt der BGH zunächst zutreffend klar, dass neben der Bezeichnung „natürliches Mineralwasser“ weitere Angaben wie „Biomineralwasser“ zulässig seien und somit kein Verstoß gegen die Kennzeichnungsvorgaben von §§ 3, 4 LMKV i. V. m. § 2 der Mineral- und Tafelwasserverordnung vorliege, weil das Lebensmittelkennzeichnungsrecht offen ist für zusätzliche Angaben zur Beschaffenheit, sofern dadurch keine Fehlvorstellungen über den Inhalt des in der Fertigpackung angebotenen Lebensmittels erzeugt werden.* Eine Ergänzung verkehrsüblicher Bezeichnungen i. S. v. § 4 Abs. 1 Nr. 1 LMKV mit beschreibenden Angaben, Hersteller- oder Handelsmarken oder auch Phantasiebezeichnungen sei zulässig, soweit der Verkehr dadurch nicht irregeführt werde. Dem ist zuzustimmen, da der Verbraucher bei Bioprodukten einen natürlichen Ursprung des Erzeugnisses erwartet und insoweit nicht in die Irre geleitet wird. Weiterhin bestätigt der BGH zutreffend das Verbot der Verwendung eines dem bekannten Bio-Siegel nach Öko-Kennzeichnungsverordnung ähnlichen Siegels, da die VO (EG) 834/2007 für Mineralwasser gar nicht anwendbar ist.

Jedoch setzt sich das Gericht in keiner Weise mit dem Umstand auseinander, wie der Verbraucher beurteilen soll, ob er es tatsächlich mit einem Bio-Produkt zu tun hat. Das bekannte Bio-Siegel enthält den klaren Hinweis auf die EG-Öko-Verordnung, welche einen zumindest recherchierbaren Rechtsrahmen vorgibt, über den sich der Verbraucher informieren kann. Dem ist nicht so, wenn Hersteller frei bestimmen können, unter welchen Bedingungen sie den Begriff „Bio“ verwenden. Dem Verbraucher fehlt dann jede Vergleichsmöglichkeit mit natürlichen Mineralwässern. Zwar führt der BGH aus, dass der Verkehr von einem Biomineralwasser erwarte, dass es nicht nur unbehandelt und frei von Zusatzstoffen sei, sondern im Hinblick auf das Vorhandensein von Rückständen und Schadstoffen auch „deutlich reiner“ sei als herkömmliches Mineralwasser; insoweit unterschieden sich Mineralwässer, die die gesetzlichen Grenzwerte nochmals deutlich unterschreiten, von natürlichen Mineralwässern, bei denen der Gehalt an Rückständen und Schadstoffen nahe an diesen Grenzwerten liege. Der BGH bleibt jedoch jegliche Ausführungen darüber schuldig, wie „deutlich“ die Unterschreitung ausfallen muss und wie der Verbraucher das erkennen können soll, wenn kein Bewertungssystem bzw. keine Beurteilungskriterien zur Verfügung gestellt werden. Die Entscheidung ist daher insoweit nicht überzeugend, weil ein Verbraucher, dem Bio-Eigenschaften empfohlen werden, ohne diese unmittelbar transparent und nachvollziehbar zu machen, durchaus in die Irre geführt werden kann. Das Urteil ist auch für die Lebensmittelpraxis nicht hilfreich, weil in Bereichen außerhalb der Öko-Verordnung der Phantasie der Bio-Erfinder nur unzureichend Grenzen gesetzt werden.

Hintergrund und Ausblick:

Die Judikatur des besprochenen Falls zeigt auf, wie wenig Transparenz der Gesetzgeber der Bio-Kennzeichnung abverlangt, und wie schwer es den Gerichten fällt damit umzugehen. Es sollte auch außerhalb der EG-Öko-Verordnung ein klarer Rechtsrahmen darüber geschaffen werden, unter welchen Bedingungen die Verwendung des Begriffs „Bio“ zulässig ist. Es gibt durchaus beachtliche Versuche beispielsweise für Mineralwasser Bio-Richtlinien zu etablieren. Im vorliegenden Fall erfolgte tatsächlich eine Bio-Zertifizierung nach einer Richtlinie, die ein Verein erarbeitet hat und die öffentlich zugänglich ist. Jedoch schließt sich hier die Frage an, wie verlässlich derartige Richtlinien sind, insbesondere inwieweit sie einer staatlichen oder staatlich anerkannten Überprüfung oder Bewertung unterzogen werden sollten. Des Weiteren ist fraglich, was von Bio-Zertifikaten gehalten werden darf, deren Aussteller (private Zertifizierungsstellen) sich einerseits auf diese Richtlinien beziehen und andererseits von der DAkkS insoweit nicht entsprechend akkreditiert wurden. Daher wäre neben einer klaren und alle Lebensmittel umfassenden „Bio-Gesetzgebung“, in der nachzulesen ist, unter welchen Voraussetzungen das Wort „Bio“ verwendet werden darf, eine Regelung wünschenswert, die das Zertifizierungs- und Akkreditierungsrecht mit einschließt mit dem Ziel, Bio-Richtlinien und -Zertifikate unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich zu legitimieren und Verbrauchern wie Unternehmen eindeutige Qualitätskriterien im gesamten Bio-Bereich an die Hand zu geben.

* Die vorhergehende Fassung des Beitrags referierte dahingehend, dass laut BGH eine Ersetzung der gesetzlichen Verkehrsbezeichnung zulässig sei, soweit keine Irreführung vorliege. Richtigerweise ging es jedoch nur um eine zulässige Ergänzung der vorgeschriebenen Verkehrsbezeichnung durch weitere, nicht irreführende Angaben. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.

OLG Hamm: Homöopathika (Schüßlersalze): Bewerbung als „sanfte Begleiter in der Schwangerschaft“ irreführend

Nach Auffassung des OLG Hamm (Urt. v. 13.12.1012, I-4 U 141/12) verstößt eine Werbung für Schüßlersalze T2 Nr. 7 und Nr. 2 (Magnesium phosphoricum und Calcium phosphoricum) auch gegenüber Fachkreisen (Hebammen) gegen § 3 Abs. 1 HWG, wenn diese ohne Angabe von Anwendungsgebieten als „sanfte Begleiter in der Schwangerschaft“ bezeichnet werden. Die Werbung hatte es vermieden, konkrete Beschwerden oder Krankheiten zu nennen und umging auf diese Weise zunächst § 5 HWG, wonach für homöopathische Arzneimittel, die nach dem Arzneimittelgesetz registriert oder von der Registrierung freigestellt sind, nicht mit der Angabe von Anwendungsgebieten geworben werden darf. Bei der Schwangerschaft handelt es sich nach der Entscheidung nicht um ein Anwendungsgebiet i. S. d. § 5 HWG. Der Begriff „Anwendungsgebiet“ stehe grundsätzlich für Indikationen, für die das Arzneimittel zugelassen sei. Im Falle von Homöopathika, wo keine Zulassung existiere, träten an die Stelle der Zulassung die spezifischen Anwendungsgebiete nach der homöopathischen Therapierichtung. Als solche kämen Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden in Betracht, in Bezug auf die das Arzneimittel nach der homöopathischen Lehre Wirkung entfalten soll. Zu solchen Beschwerden zähle die normale Schwangerschaft nicht.

Trotz fehlenden Verstoßes gegen § 5 HWG sah das Gericht jedoch den Fall einer irreführenden Heilmittelwerbung (Verstoß gegen § 3 S. 2 Nr. 1 HWG) als gegeben an: Die Werbung erwecke den Eindruck, dass die Arzneimittel als sanfte Schwangerschaftsbegleiter schonend und dauerhaft positiven Einfluss speziell bei Schwangeren entfalten können, die Krankheiten oder Beschwerden aus dem Anwendungsbereich der genannten Arzneimittel aufwiesen. Sie sollten sanft sein, also möglichst wenige Nebenwirkungen entfalten. Als „Begleiter“ sollten sie außerdem dauerhaften Schutz bieten; die Schwangerschaft sei schließlich der typische Einsatzbereich der Präparate. Für all diese Wirkungen lägen keine hinreichenden wissenschaftlichen Nachweise vor. Gerade weil bei Homöopathika aufgrund des hohen Verdünnungsgrades ein Wirksamkeitsnachweis kaum zu führen sei, sei die Werbung mit Anwendungsgebieten verboten. Der Werbende könne § 5 HWG nicht dadurch umgehen, dass er nicht die eigentlichen Anwendungsgebiete nennt, sondern auf eine Empfehlung durch die Hebammen in einem allgemeiner gehaltenen Einsatzbereich hinwirkt.

Anmerkung:  Das OLG Hamm legt die spezielle Werbebeschränkung für Homöopathika mit guten Argumenten weit aus. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 HWG, der den Begriff „Anwendungsgebiet“ relativ eng versteht i. S. v. Krankheiten oder Beschwerden und daher vorliegend nicht einschlägig war, können die Werbebeschränkungen des § 3 HWG (Irreführungsverbot) greifen, wenn hinreichend konkrete Wirkungen behauptet werden (etwa „Sanftheit“, „typisch für Einsatz in der Schwangerschaft“), die bei Homöopathika naturgemäß kaum beweisbar sind. Bei Homöopathika ist demnach auch bei der Werbung für allgemein gehaltene Einsatzgebiete, die keine Beschwerden oder Krankheiten i. S. d. § 5 HWG darstellen, höchste Vorsicht geboten.

OLG Düsseldorf: Schon Verdacht einer Arzneimittelfälschung begründet Rechtsmängelhaftung

Der Herstellerrückruf eines Arzneimittels allein aufgrund eines Verdachts einer Arzneimittelfälschung begründet einen Rechtsmangel und damit einen Anspruch auf Nacherfüllung bzw. Schadensersatz gem. § 281 Abs. 1 BGB. Ein Hersteller hatte einen Arzneimittelrückruf als „vorsorgliche Maßnahme aufgrund des Verdachts einer Arzneimittelfälschung“ veröffentlicht. Eine von einem Zwischenhändler belieferte Apotheke machte gegen diesen unter Berufung auf Mängel an der betroffenen Ware Schadensersatz geltend. Das Gericht erkannte im vorliegenden Fall auf einen Rechtsmangel i. S. d. § 435 BGB, da nach dem Rückruf nicht auszuschließen gewesen sei, dass die Ware gefälscht sei und die Ware wegen der arzneimittelrechtlichen Verpflichtungen, die aus dem Rückruf folgen, nicht mehr verkäuflich gewesen sei.

Anmerkung: Schon aus einem Arzneimittelrückruf folgt die Mangelhaftigkeit der Ware nebst den nachgelagerten Ersatzansprüchen des Kunden gegenüber seinem Lieferanten. Nach der Entscheidung des OLG bedarf es nicht erst einer positiven Feststellung der Arzneimittelfälschung, da die Ware faktisch schon im Rückrufsfalle nicht ohne Verstoß gegen Arzneimittelrecht verkäuflich ist. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Lieferanten müssen also unmittelbar nach Rückrufseinleitung gegenüber ihren Kunden reagieren und dürfen nicht erst die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten. Die Frage, inwieweit sich der Fälschungsverdacht nachträglich bestätigt, ist erst nachgeordnet zu beantworten. Hier muss der zuvor aufgrund des Mangels in Anspruch genommene Lieferant sich grundsätzlich an seinen Vorlieferanten halten.

VG Ansbach: Abgrenzung Kosmetika – Arzneimittel

Erzeugnisse können auch dann als Kosmetika eingestuft werden, wenn sie einen medizinischen Nebenzweck oder einen der pflegenden Wirkung untergeordneten vorbeugenden Verwendungszweck haben, solange die Hauptwirkung für den Verbraucher kosmetischer Natur ist (VG Ansbach, Urt. v. 20.11.2013, AN 1 K 11.02035). In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Verfahren war ein Verstoß gegen diverse Vorschriften des Kosmetikrechts (u. a. Kennzeichnungsrecht) festgestellt worden, nachdem eine Apothekerin dem Verbraucher Hautpflegemittel nach individuell wählbarer Rezeptur (verschiedene Basiscremes, Wirk- und Duftstoffe) angeboten hatte. Die Cremes wurden nicht arzneilich beworben. Lediglich die zur Wahl gestellten Wirkstoffe waren solche ambivalenter Natur (v. a. Vitamine und Pflanzenextrakte), deren Einsatzgebiete zumindest auch Krankheiten wie Akne sind. Das Gericht folgte den Überwachungsbehörden und erkannte insbesondere die Berufung der Apothekerin auf das Rezepturarzneimittelrecht nicht an.

Anmerkung: Will man mittels Berufung auf die sog. Zweifelsregelung des § 2 Abs. 3a AMG zu einer Einstufung eines Pflegemittels als Arzneimittel gelangen, bedarf es mehr als der Verwendung ambivalenter Wirkstoffe. Dem Verwaltungsgericht ist insoweit zuzustimmen, weil die Produktaufmachung selbst zunächst einmal einen Zweifel beim Verbraucher hervorrufen muss, ob ein Kosmetikum oder ein Arzneimittel vorliegt. Da im vorliegenden Fall kein Funktionsarzneimittel vorlag, konnte man nur über den Präsentationsarzneimittelbegriff zu einer Arzneimitteleigenschaft gelangen. Dieser Weg war indes mangels hinreichender Auslobung der Pflegemittel versperrt.