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BGH Apothekenrecht: Neukundenwerbung mit Gutscheinen mit Rx-Bezug unzulässig

Apotheker müssen trotz kritischer Sicht des EuGH auf die deutsche Preisbindung bei der Neukundenwerbung Vorsicht walten lassen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 29.11.2018, BGH I ZR 237/16) verstößt es gegen §§ 8, 3, 3a UWG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HWG, § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG, wenn ein Apotheker Kunden eine Prämie in Höhe von 10 € für jeden neu geworbenen Kunden verspricht, soweit der neu geworbene Kunde ausschließlich preisgebundene Arzneimittel erwirbt.

Der BGH führt aus, das  Berufungsgericht  habe zu Recht angenommen, es handele es sich bei der Werbung des Apothekers um produktbezogene Werbung (wie vom HWG verlangt). Die Werbung betreffe das gesamte Sortiment der Apotheke, weil die versprochene  Zuwendung  an  die  Voraussetzung  geknüpft  sei,  dass  ein  neuer Kunde ein vom Beklagten angebotenes Produkt erwerbe. Die Werbung sei daher keine  allgemeine Firmenwerbung,  sondern eine  Maßnahme  zur  Förderung des Absatzes der von der Apotheke vertriebenen Produkte.

Dem stehe auch der Arzneimittelkodex nicht entgegen. Insbesondere den Regelungen der  Art. 86 und 89 der Richtlinie 2001/83/EG sei nicht zu entnehmen, dass allein die Werbung für ein einzelnes Produkt verboten, die Werbung für lediglich ihrer Art nach bestimmte Arzneimittel oder das gesamte Warensortiment dagegen erlaubt sei.

Zudem liege ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung nicht nur vor, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem niedrigeren Preis abgibt. Die Bestimmungen der Arzneimittelpreisverordnung seien vielmehr  auch  dann  verletzt,  wenn  für  das  preisgebundene  Arzneimittel  zwar der vorgeschriebene Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 9.September 2010 – IZR193/07, GRUR 2010, 1138 Rn.17 =WRP 2010, 1482 – UNSER DANKE-SCHÖN  FÜR  SIE,  m. w. N;  BGH,  GRUR  2017,  635  Rn. 37 – Freunde  werben Freunde).

Schließlich seien die in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HWG in Bezug  genommenen Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes auch nicht aus unions- oder verfassungsrechtlichen  Gründen  unanwendbar  oder  unwirksam. Die  Revision rüge ohne Erfolg, die in §78 Abs. 2 AMG enthaltene Regelung könne nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Sache Deutsche Parkinson Vereinigung/Zentrale (EuGH, Urteil  vom  19. Oktober  2016 -C- 148/15, GRUR 2016, 1312 = WRP 2017, 36) keine Geltung mehr beanspruchen. Diese Entscheidung habe keine direkte Bedeutung für den Streitfall, da dieser einen rein innerstaatlichen Sachverhalt betreffe. Der Umstand, dass ausländische Versandapotheken der Preisbindung nicht unterliegen, führe auch zu keiner relevanten  Ungleichbehandlung  im  Sinne  von  Art. 3 Abs. 1 GG. Ebensowenig könne angenommen werden,  dass die mit dem  einheitlichen Apothekenabgabepreis verbundene Einschränkung der Berufsfreiheit nicht (mehr) gerechtfertigt sein könnte.

Nach diesen Maßstäben läge im Streitfall ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche  Preisbindung  vor.  Nach  der  beanstandeten  Werbung  des Apothekers werde die Prämie in Höhe von 10 € ohne Einschränkung für jede Werbung eines neuen Kunden und damit auch dann gewährt, wenn der neue Kunde  bei der Apotheke  ausschließlich  Arzneimittel  erwerbe,  für  die  ein  einheitlicher Apothekenabgabenpreis zu gewährleisten ist.

VG Ansbach: Abgrenzung Kosmetika – Arzneimittel

Erzeugnisse können auch dann als Kosmetika eingestuft werden, wenn sie einen medizinischen Nebenzweck oder einen der pflegenden Wirkung untergeordneten vorbeugenden Verwendungszweck haben, solange die Hauptwirkung für den Verbraucher kosmetischer Natur ist (VG Ansbach, Urt. v. 20.11.2013, AN 1 K 11.02035). In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Verfahren war ein Verstoß gegen diverse Vorschriften des Kosmetikrechts (u. a. Kennzeichnungsrecht) festgestellt worden, nachdem eine Apothekerin dem Verbraucher Hautpflegemittel nach individuell wählbarer Rezeptur (verschiedene Basiscremes, Wirk- und Duftstoffe) angeboten hatte. Die Cremes wurden nicht arzneilich beworben. Lediglich die zur Wahl gestellten Wirkstoffe waren solche ambivalenter Natur (v. a. Vitamine und Pflanzenextrakte), deren Einsatzgebiete zumindest auch Krankheiten wie Akne sind. Das Gericht folgte den Überwachungsbehörden und erkannte insbesondere die Berufung der Apothekerin auf das Rezepturarzneimittelrecht nicht an.

Anmerkung: Will man mittels Berufung auf die sog. Zweifelsregelung des § 2 Abs. 3a AMG zu einer Einstufung eines Pflegemittels als Arzneimittel gelangen, bedarf es mehr als der Verwendung ambivalenter Wirkstoffe. Dem Verwaltungsgericht ist insoweit zuzustimmen, weil die Produktaufmachung selbst zunächst einmal einen Zweifel beim Verbraucher hervorrufen muss, ob ein Kosmetikum oder ein Arzneimittel vorliegt. Da im vorliegenden Fall kein Funktionsarzneimittel vorlag, konnte man nur über den Präsentationsarzneimittelbegriff zu einer Arzneimitteleigenschaft gelangen. Dieser Weg war indes mangels hinreichender Auslobung der Pflegemittel versperrt.

EuGH: Knoblauchpräparate keine Arzneimittel

In der Publikation vom 07.09.2007 war bereits ausführlich zu den Schlussanträgen der Generalanwältin Verica Trstenjak zur lebensmittelrechtlichen Einstufung von Knoblauchkapseln referiert worden. Der EuGH ist den Anträgen nunmehr erwartungsgemäß gefolgt. Insbesondere führt der EuGH in seiner Entscheidung vom 15. November 2007 (C-319/05) in Bezug auf die Funktionsarzneimitteleigenschaft aus:

„Anders als der Begriff des Arzneimittels nach der Bezeichnung, dessen weite Auslegung die Verbraucher vor Erzeugnissen schützen soll, die nicht die Wirksamkeit besitzen, welche sie erwarten dürfen, soll der Begriff des Arzneimittels nach der Funktion diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen. […] Deshalb […] ist es nicht ausreichend, dass ein Erzeugnis Eigenschaften besitzt, die der Gesundheit im Allgemeinen förderlich sind, sondern es muss wirklich die Funktion der Verhütung oder Heilung besitzen.

Diese Feststellung gilt umso mehr für Erzeugnisse, die zusätzlich zu ihrer Eigenschaft als Lebensmittel anerkanntermaßen förderliche Wirkungen für die Gesundheit besitzen. Wie die Generalanwältin in Nr. 60 ihrer Schlussanträge dargelegt hat, gibt es nämlich zahlreiche allgemein als Lebensmittel anerkannte Erzeugnisse, die objektiv für therapeutische Zwecke verwendet werden können. Dieser Umstand kann jedoch nicht genügen, um ihnen die Eigenschaft eines Arzneimittels im Sinne der Richtlinie 2001/83 zu verleihen.“ (EuGH, Urt. v. 15.11.2007, C-319/05 – Knoblauchkapseln, Rz. 61, 64, 65).

Zwar ist die erhoffte Konkretisierung und Vertiefung der Ansätze der Generalanwältin ausgeblieben. Ebenso konnte sich der EuGH nicht dazu durchringen, den außerordentlich schwer definierbaren und z. T. sogar bestrittenen Begriff der pharmakologischen Eigenschaften zu konkretisieren. Gleichwohl ist dieses Urteil sehr erfreulich, da es einen großen Beitrag zur Rechtssicherheit leistet und insbesondere den Überwachungsbehörden ein klares Zeichen setzt, welche Maßstäbe in Zukunft bei der Subsumtion bestimmter Produkte unter die arzneimittel- und lebensmittelrechtlichen Begrifflichkeiten gelten.

Stand: 10.12.2007, Dr. Gordon Grunert, LL.M. Eur., www.anwaltskanzlei-grunert.de

 

Abgrenzung Arzneimittel – NEM

Die Popularität von Nahrungsergänzungsmitteln und ihr steigender Konsum sind ungebrochen. Der Markt wird mit neuen Produkten regelrecht überflutet. Mineralstoffprodukte, Vitaminpräparate, Pilzextrakte und andere Pflanzenkompositionen erfreuen sich bei den Verbrauchern zunehmender Beliebtheit. Umso wichtiger ist es für Hersteller und Händler, dass ihre Produkte den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Mit dem Auslaufen der Übergangsfristen nach der Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (NemV) zum 30.11.2005 für den Vertrieb von sog. Altprodukten sind nur noch Produkte zulässig, die den neuen Vorgaben an Herstellung und Kennzeichnung entsprechen. Zudem muss es sich bei den Produkten auch tatsächlich um Nahrungsergänzungsmittel handeln. Eine Prüfung ist unumgänglich, da es schwerwiegende Folgen haben kann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass es sich bei dem Produkt in Wahrheit um ein Arzneimittel handelt. Die Grenzen sind z. T. fließend, sodass sich die Gerichte immer wieder mit Abgrenzungsfragen beschäftigen. Im Folgenden soll daher ein Überblick über die wichtigsten Definitionen und Abgrenzungskriterien gegeben werden.

I. Was sind Nahrungsergänzungsmittel?

Nahrungsergänzungsmittel sind den Lebensmitteln zuzuordnen. Für sie gelten jedoch besondere Vorschriften in Form der Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel (NemV), die in Umsetzung der Europäischen Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie (RL 2002/46/EG) entstanden ist. 

Gemäß § 1 Abs. 1 NemV ist ein 

“(1) Nahrungsergänzungsmittel … ein Lebensmittel, das

1. dazu bestimmt ist, die allgemeine Ernährung zu ergänzen,

2. Ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammenhang darstellt und

3. In dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen, in den Verkehr gebracht wird.”

Nahrungsergänzungsmittel können demnach als besondere Form von Lebensmitteln eingestuft werden, für die spezielle Vorschriften zu beachten sind. Ab dem 01.12.2005 dürfen nur noch Produkte hergestellt und in den Verkehr gebracht werden, die den Vorschriften der NemV entsprechen, insbesondere sind nur noch die in den Anlagen 1 und 2 NemV aufgeführten Vitamine und Mineralstoffe zulässig (soweit es sich um Produkte handelt, die Vitamine und Mineralstoffe enthalten). Zudem sind die besonderen Kennzeichnungsvorschriften und die Regelungen zur Produktbewerbung zu beachten.

Dem Erzeugnis muss ein Ernährungszweck anhaften, d. h. es muss geeignet sein, die stofflichen Bedürfnisse des Körpers ergänzend zu befriedigen. Dies wird nicht nur durch Vitamine und Mineralstoffe einschließlich Spurenelemente (= Nährstoffe gemäß § 1 Abs. 2 NemV) gewährleistet, sondern auch durch “sonstige Stoffe” mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung. Das betrifft Stoffe wie Johannisbrotkernmehl, Guarkenmehl, z. T. auch Pilzextrakte. 

II. Besonderheiten von Nahrungsergänzungsmitteln gegenüber einfachen Lebensmitteln

Die Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel stellt besondere Anforderungen an Herstellung, Verpackung, Kennzeichnung und Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln. Gemäß § 2 NemV dürfen diese Produkte, soweit sie zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt sind, gewerbsmäßig nur in einer Fertigpackung in den Verkehr gebracht werden. Diese Fertigpackung unterliegt besonderen Kennzeichnungsvorschriften, die sich aus der NemV, der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung, der Loskennzeichnungsverordnung sowie den allgemeinen lebensmittrechtlichen Vorschriften (LFGB = Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, bei Redaktionsschluss noch LMBG = Lebenmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) ergeben. Ab dem 01.12.2005 müssen Produkte explizit als “Nahrungsergänzungsmittel” bezeichnet werden (§ 4 Abs. 1 NemV). Zudem müssen neben der nach der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung erforderlichen Kennzeichnung u. a. die

– Namen der Kategorien von Nährstoffen,

– empfohlene tägliche Verzehrsmenge sowie

– bestimmte Warnhinweise

angegeben werden (§ 4 Abs. 2 NemV). Des Weiteren darf ein Nahrungsergänzungsmittel gewerbsmäßig nur in den Verkehr gebracht werden, wenn die Mengenangaben der enthaltenen Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung Bezug nehmen auf die auf dem Etikett angegebene empfohlene tägliche Verzehrsmenge dieses Produkts (§ 4 Abs. 3 NemV). Dies geschieht i. d. R. der Übersichtlichkeit halber in tabellarischer Form. Bei der Aufmachung der Produkte ist darauf zu achten, dass nicht der Eindruck entsteht, eine Zufuhr angemessener Nährstoffmengen sei bei einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung (also ohne Nahrungsergänzungen) nicht möglich (§ 4 Abs. 4 NemV).

Hersteller und Importeure von Nahrungsergänzungsmitteln müssen spätestens bei Einführung auf dem deutschen Markt (= erstes Inverkehrbringen) dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) Anzeige hierüber erstatten (§ 5 NemV). Ein entsprechendes Formular ist beim Amt erhältlich. Dem Formular ist zur Illustration ein Muster des für das Erzeugnis verwendeten Etiketts beizufügen.

Im Falle der Missachtung der Vorschriften der NemV drohen z. T. straf- und ordnungsrechtliche Sanktionen. So ist etwa die Verwendung eines nicht in den Anlagen 1 und/oder 2 NemV aufgeführten Nährstoffs nach § 6 Abs. 1 NemV strafbewehrt. Gleiches gilt für den Fall, dass der Warnhinweis “Die angegebene tägliche Verzehrsmenge darf nicht überschritten werden” fehlt. Zudem drohen wettbewerbsrechtliche Abmahnungen durch die Konkurrenz. 

III. Abgrenzung

Bei der Herstellung und vor der verkaufsfähigen Gestaltung stellt sich zunächst die Frage, wie das Produkt einzustufen ist. Hier werden Abgrenzungsfragen insbesondere zu Arzneimitteln und Kosmetikprodukten relevant. 

Abgrenzung Lebensmittel (insbesondere Nahrungsergänzungsmittel) – Arzneimittel

Die Abgrenzung zu Arzneimitteln ist anhand der EG-Basisverordnung (VO 178/2002/EG), der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie (RL 2002/46/EG), der geänderten Richtlinie 2001/83/EG (Arzneimittelkodex, geändert durch RL 2004/27/EG), den die europäischen Vorgaben umsetzenden nationalen Vorschriften sowie anhand der Rechtsprechung auf Europäischer und nationaler Ebene vorzunehmen.

Lebensmittel dienen bestimmungsgemäß der Ernährung. Arzneimittel sind dagegen gemäß Art. 1 Nr. 2 lit. a der geänderten Richtlinie 2001/83/EG 

“Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die am oder im menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (Art. 1 Nr. 2 lit. b der geänderten Richtlinie 2001/83/EG).” 

Diese Arzneimitteldefinition, die zur Konkretisierung der Europäischen Vorgaben und zur Verbesserung der Abgrenzungskriterien zur Abänderung der ursprünglichen Arzneimitteldefinition im Arzneimittelkodex führte, enthält eine Zweiteilung. Sie orientiert sich zunächst an der Zweckbestimmung des Erzeugnisses, d. h. an der Widmung, die der Hersteller dem Produkt verliehen hat als “zur Heilung und Verhütung menschlicher Krankheiten” bestimmt. Hierbei spielt die Produktgestaltung und -kennzeichnung eine erhebliche Rolle. Es kann daher vorkommen, das ein Produkt – ohne dass es nach seiner Wirkungsweise/Funktion um ein Arzneimittel handelt – als Arzneimittel einzustufen wäre, wenn dies aufgrund seiner Widmung nach der Verkehrsauffassung geboten erscheint (sog. Präsentationsarzneimittel). Diese Orientierung an der Zweckbestimmung geht einher mit der Rechtsprechung des BGH. Danach ist für die Einordnung eines Produkts als Arznei- oder Lebensmittel 

“seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung entscheidend, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch-schnittsverbraucher darstellt” (BGH, Urt. v. 22.07.2004, Az.: I ZR 288/01 – Johanniskraut).

Die zweite Definition nach der Richtlinie stellt auf die Wirkungsweise des Erzeugnisses ab, indem verschiedene Wirkungen (pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung) aufgezählt werden. Laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist im Rahmen der Prüfung, ob die zweite Definition einschlägig ist, auch eine etwa bestehende Gesundheitsgefahr zu berücksichtigen (EuGH, Urt. vom 09.06.2005, Az.: C-211/03 und weitere). Ein Erzeugnis ist als Arzneimittel einzustufen, wenn es unter eine dieser Definitionen fällt (vgl. im Übrigen die Def. in § 2 Abs. 1 AMG; es bleibt abzuwarten, inwieweit der Arzneimittelbegriff des AMG bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 2004/27/EG am 30.10.2005 angepasst wird).

Bei der Abgrenzung der Nahrungsergänzungen von den Arzneimitteln treten insoweit Probleme auf, als die Grenzen zwischen beiden Bereichen z. T. fließend sind. Oft ist ein Produkt durch Merkmale beider Bereiche gekennzeichnet. Für diesen Fall nimmt das geltende Recht mittlerweile eine klare Festlegung für die grundsätzliche Abgrenzung vor. Aus Art. 2 Abs. 3 lit. d EG-Basisverordnung und Art. 1 Abs. 2 Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie ergibt sich, dass Arzneimittel nicht zu den Lebensmitteln gehören. Art. 2 Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2001/83/EG sieht vor:

“In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von “Arzneimittel” als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie”.

Das bedeutet, es ist im Zweifel davon auszugehen, dass ein Arzneimittel vorliegt. Allerdings handelt es sich hier um einen Auffangtatbestand, der erst greift, wenn ein Erzeugnis nach umfassender Prüfung nicht eindeutig unter die Definition anderer Produktgruppen, insbesondere von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Mitteln der Medizintechnik, Bioziden oder kosmetischen Mitteln, fällt (vgl. Erwägungsgrund 7 der Richtlinie 2004/27/EG). Wichtig ist in diesem Zusammenhang die schon im Gesetz vorgesehene Gesamtschau – also die Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses. Der EuGH hat in einer seiner Entscheidung vom 09.06.2005 (Az.: C-211/03 und weitere) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass “…die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel oder Lebensmittel … unter Berücksichtigung aller Merkmale vorgenommen werden [muss]”.

Bei der rechtlichen Überprüfung des Produktes wird von den Behörden und Gerichten meist zunächst geprüft, ob bereits eine Verkehrsauffassung festgestellt werden kann. Diese bildet den Ausgangspunkt für die weitere Prüfung, welche sich an den Kriterien der “Zweckbestimmung”, der “Eignung” und der “Darreichungsform” orientiert. Verallgemeinerungen sollte man jedoch nicht anstellen, das jede Abgrenzung im konkreten Einzelfall vorzunehmen ist. Der Europäische Gerichtshof führt hierzu in seiner Entscheidung vom 09.06.2005 (Az.: C-211/03 und weitere) aus:

“Um zu entscheiden, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als Lebensmittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts einzustufen ist, hat die zuständige nationale Behörde von Fall zu Fall zu entscheiden und dabei alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen –, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen.”

IV. Fallbeispiele

Glucoseaminsulfat ist nach einem Urteil des OLG Köln vom 26.05.2004 (Az.: 6 U 136/02) als Lebensmittel einzustufen. Das Nahrungsergänzungsmittel, das diesen Wirkstoff (Knorpelinhaltsstoff zur Anwendung bei Gelenkbeschwerden) enthielt, konnte weiterhin vertrieben werden.

Schlankheitsmittel können nach einer Entscheidung des OLG Schleswig vom 26.01.1999 (Az.: 6 U 71/98) als Lebensmittel einzustufen sein, wenn sie neben Füll- und Quellstoffen Nährstoffe (lebenswichtige Vitamine und Spurenelemente) enthalten.

Vitaminprodukte werden i. d. R. in Abhängigkeit von ihrer Konzentration beurteilt. Hochdosierte Vitamin-E-Produkte z. B. werden wegen der von Überdosierungen ausgehenden Gesundheitsgefahren als Arzneimittel eingestuft (OLG Hamm, Urt. v. 25.11.2004, Az.: 4 U 129/04). 

Extrakte aus chinesischen Heilpilzen sind nach einer Entscheidung des OVG Niedersachsen vom 08.07.2004 (Az.: 11 ME 12/04) als Lebensmittel (Nahrungsergänzungsmittel) einzustufen.

Bei Heilkräutern der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) hat das OVG Niedersachsen ähnlich entschieden und diese als Pflanzenteile eingestuft (Urt. v. 24.10.2002, Az.: 11 LC 207/02). Die Beurteilung dieser Produktgruppe bleibt jedoch innerhalb Deutschlands umstritten.

Die Arzneimittelüberwachung des Landes Bayern z. B. ist der Auffassung, bei TCM-Kräutern handele es sich um Arzneimittel. Argumentiert wird seitens der Behörden u. a. mit der Gefahr für den Verbraucher, wobei man auf schwere Vergiftungsfälle durch Verwechslungen mit hochgiftigen Pflanzen verweist. Diese restriktive Ansicht dürfte nun durch das oben zitierte EuGH-Urteil Unterstützung finden, soweit das Gericht die Gesundheitsgefahr für den Verbraucher als “eigenständigen Faktor” bezeichnet, den die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen der Einstufung des Erzeugnisses als Funktionsarzneimittel ebenfalls zu berücksichtigen haben.

Bei Sportlernahrung ist eine differenzierte Beurteilung vorzunehmen, die sich stark am Einzelfall orientiert. Die Einstufung als Nahrungsergänzungsmittel erscheint grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Jedoch ist – je nach konkretem Produkt, Inhaltsstoff, Dosierung und Produktaufmachung – auch die Einstufung als Arzneimittel oder auch als diätetisches Lebensmittel möglich. 

Handelt es sich bei einem Produkt um Dopingmittel (u. a. Steroide und Anabolika), liegt ein Arzneimittel vor (so OLG Hamburg, Urt. v. 26.05.2005, Az.: 3 U 73/02).

Muskelaufbaupräparate dagegen, die keine Dopingmittel darstellen, sind nicht ohne Weiteres als Arzneimittel einzustufen, auch wenn sie die Fähigkeit fördern sollen, Höchstleistungen erst zu erreichen. In seinem Urteil vom 06.05.2004 (Az.: I ZR 275/01 – Sportlernahrung II) hatte sich der BGH mit Muskelaufbauprodukten zu befassen, die Kreatin und Carnitin enthielten. Im Gegensatz zur Vorinstanz kam der BGH zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um Arzneimittel handelte. Das Gericht führte aus, Muskelaufbaupräparate dienten besonderen physiologischen Bedürfnissen und sich daraus ergebenden Ernährungserfordernissen einer speziellen Personengruppe (u. a. Hochleistungssportler). Demzufolge seien die Produkte als diätetische Lebensmittel im Sinne der Diätverordnung einzustufen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 lit b DiätV). Hier ist allerdings zu beachten, dass eine hohe Dosierung, die metabolische Wirkungen entfaltet, wiederum dazu führen kann, dass das Erzeugnis als Arzneimittel einzustufen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Az.: I-20 U 79/01). Das trifft auch zu, wenn die Dosierung des Mittels den ernährungsphysiologisch erforderlichen und möglichen Bedarf um ein Vielfaches übersteigt (BGH, Az.: I ZR 275/01 – Sportlernahrung II). 

Fischölpräparate sind nach einer Entscheidung des OLG Hamburg vom 27.01.2005 (Az.: 3 U 28/03) als Lebensmittel (in Form eines Diätetischen Lebensmittels im Sinne der DiätV) einzustufen. Das streitgegenständliche Produkt war als “Diätetisches Lebensmittel” und als geeignet “zur diätetischen Behandlung von entzündlich-rheumatischen Beschwerden” beschrieben worden. Das Gericht führte aus, die Omega-3-Fettsäure EPA stelle einen Nährstoff dar, der in der besonderen physiologischen Situation von Rheuma-Patienten erforderlich sei. Zudem reiche eine Modifizierung der Ernährung, die Verwendung anderer Lebensmittel oder die Kombination aus beidem bei diesen Patienten nicht aus, um deren Bedarf sicherzustellen, womit der Subsidiaritätsklausel gemäß § 1 Abs. 4a S. 2 DiätV genüge getan sei. 

Knoblauchpräparate wurden von der deutschen Rechtsprechung im Gegensatz zu den Gepflogenheiten vieler anderer EU-Mitgliedstaaten durchgehend als Arzneimittel eingestuft (vgl. nur BGH WRP 1995, 386 – Knoblauchkapseln). Der Verbraucher nehme Knoblauch aufgrund der allgemeinen Bekanntheit der medizinischen Wirkungen des darin enthaltenen Wirkstoffs als der Arterienverkalkung vorbeugendes Arzneimittel ein. Das Präparat könne nicht zu Ernährungszwecken verwendet werden, weil es keine Nährstoffe in nennenwertem Umfang enthalte (BGH a. a. O.). Diese Argumentation des BGH widerspricht der oben aufgezeigten Definition für Nahrungsergänzungsmittel (die Entscheidung datiert aus einer Zeit vor der Richtlinien- und Verordnungsgebung). Insbesondere sind nicht nur Erzeugnisse zulässig, die Nährstoffe enthalten, sondern auch “sonstige Stoffe” mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung. Diese Entscheidung kann daher nicht mehr als repräsentativ herangezogen werden. Hier bleibt abzuwarten, ob die deutsche Judikatur diese Haltung überdenken wird. Die EU-Kommission hat jedenfalls nach einer Pressemitteilung vom 18.03.2005 beschlossen, Deutschland wegen der konsequenten Einstufung von Knoblauchpräparaten als Arzneimittel vor dem EuGH zu verklagen. Sie sieht hierin einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG.

Stand: 15.09.2005, Dr. Gordon Grunert, LL.M. Eur., www.anwaltskanzlei-grunert.de